Koalitionsvertrag: Schwarze Mittelstandspolitik im grünen Cover

Datum des Artikels 18.06.2021

Als Mittelständler ist man hart im Nehmen. Wahrlich hatten wir Mittelständler in den letzten Jahren keinen Anlass zu Standing Ovations für die Wirtschaftspolitik von Bund und Land. Ganz im Gegenteil. Demzufolge nüchtern, skeptisch und sorgenvoll verfolgten Selbstständige und Unternehmen die Bildung der neuen Landesregierung.

Wer nun im Koalitionsvertrag im Kapitel Wirtschaft hinter die grünen Blümchen schaut, findet eine Reihe von schwarzen Inhalten, die die Wirtschaftspolitik des Landes relevant bestimmen können. Diese Wertung soll bitteschön nicht als Selbstlob eines Verhandlungsteilnehmers verstanden werden, sondern als Einschätzung eines Unternehmers, der schon immer lieber nach Chancen sucht anstatt zu lamentieren.

Streckbank Bürokratiekosten zurückdrehen

In der neuen Legislaturperiode werden die vom Land verursachten Bürokratiekosten bei Bürgern, Wirtschaft und in der Verwaltung um 500 Millionen Euro reduziert. CDU und Grüne werden mit Nachdruck darauf drängen, dass die Verwaltung stufenweise, aber konsequent modernisiert und digitalisiert wird. Dabei ist darauf zu achten, dass bestehende Abläufe nicht 1:1 in die digitale Form übernommen, sondern vereinfacht und bürgerfreundlicher (schneller, nachvollziehbarer und günstiger) werden. Die Politik ist sich in diesem Punkt einig. Erhebliche Widerstände verursacht allerdings die Veränderungsresistenz in Bürokratie und Verwaltungen.

Erstmals in einem Bundesland wurde in diesem Vertrag mit der Zahl 500 Millionen Euro ein quantitatives Einsparziel vorgegeben, an dem sich die Landesregierung wird messen lassen. Die CDU-Fraktion wird zusammen mit dem Normenkontrollrat jährlich Zwischenbilanzen ziehen und veröffentlichen. Der Koalitionsvertrag benennt einige der wichtigen Hebel: Baugenehmigungen werden künftig von „virtuellen Bauämtern“ bearbeitet und landesweit einheitlich digital sowie vor allem medienbruchfrei mit Unternehmen und Bürgern kommunizieren. Wir wollen, dass Schluss ist mit dem Ausdrucken, Unterschreiben, Einscannen und Zurückschicken von Dokumenten – nur um ein kleines Beispiel aus der Praxis zu nennen.

Alle Verwaltungsleistungen für Bürger, Notare und Unternehmen werden künftig über ein einheitliches Portal („Service BW“) vereinheitlicht und zusammengeführt. Das Land wird an der Einführung des „Once-Only-Prinzips“ mitwirken, so dass bestimmte Standardinformationen an Behörden und Verwaltungen nur noch einmal mitgeteilt werden müssen. Nach expliziter Zustimmung durch den Betroffenen dürfen Behörden diese Daten mit anderen Behörden teilen. Außerdem wird die Digitalisierung der Steuerverwaltung ausgebaut. Schrittweise wird die eAkte im Land eingeführt. Und um die Digitalisierung in den vielen weiteren Teilen der Verwaltung anzustoßen, wird ein Masterplan als (hoffentlich) verbindlicher Leitfaden ausgegeben.

Mittelstandsförderung per Gesetz

Wir haben festgelegt, dass das verstaubte Mittelstandsgesetz aktualisiert wird. Dieses Gesetz verfolgt das Ziel, kleine und mittelständische Unternehmen, Selbstständige und Angehörige der Freien Berufe, die große Bedeutung für eine ausgewogene Wirtschaftsstruktur haben, zu fördern. Dass die Inhalte der Gesetzesnovelle noch nicht fest umschrieben sind, gibt auch der MIT die Chance, mit klugen Vorschlägen an der Novelle mitzuwirken.

Steuerlast für Unternehmen senken

Wer sagt, die Grünen seien nicht offen für gute Argumente? In der Steuerpolitik haben wir uns darauf geeinigt, dass „zusätzliche Steuerbelastungen für den Mittelstand“ vermieden werden müssen (Zitat Koalitionsvertrag). Die Koalition will die Unternehmensbesteuerung generell verbessern und wird deshalb auf Bundesebene aktiv. Ob wir damit allerdings bei den Bundesgrünen auf Verständnis stoßen, darf bezweifelt werden.

Verwaltung beschleunigen

Die Koalitionspartner wollen Infrastrukturprojekte und Innovationen schneller realisieren, eine für die Wirtschaft sehr wichtige Zielsetzung. Dies erfordert meines Erachtens auch, dass die Klagewege verkürzt werden. Ein anderes Stichwort wird im Vertrag konkret benannt, nämlich die „One-Stop-Agency“. Insbesondere bei komplexen Vorhaben, für deren Genehmigung zahlreiche behördliche Einzelgenehmigungen erforderlich sind, könnte eine „Task Force Unternehmensansiedelung“ oder ein koordinierender Projektmanager innerhalb der Behörde mit rechtlich definierten Befugnissen das Gesamtprojekt deutlich beschleunigen. Wir müssen jedenfalls davon wegkommen, dass die Verfahrensabläufe durch extrem langsam arbeitende Behörden (auf deren Einzelentscheidung andere Behörden wiederum warten müssen) ins Unendliche behindert werden. Auch in diesem Punkt können sich Verbände (und die MIT) ab sofort mit eigenen Ideen in die Diskussion einschalten.

Digitalisierung im Handwerk

Vor allem digitale Plattformen bieten Handwerksunternehmen Chancen auf neue Kunden und Umsatzerlöse, beispielsweise durch digitale Marktplätze. Das Wirtschaftsministerium wird in Zusammenarbeit mit dem Handwerkstag den Ausbau von digitalen Plattformen stärker finanziell fördern.

Ziel sind mehr Meistertitel

Die Ausbildung zu Meisterinnen und Meistern soll attraktiv sein. Deshalb wird die
Meisterprämie im Handwerk fortgeführt. Außerdem sollen die Kosten der Ausbildungskurse und Prüfungen gesenkt werden.

Finanzpolitischer Grundkonsens

CDU wie Grüne im Land halten an der Schuldenbremse fest. Diese kurze Aussage im Koalitionsvertrag kann insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen auf Bundesebene nicht hoch genug bewertet werden. Bekanntlich sind die Bundesprogramme von Grünen, Roten und Linken in diesem Punkt nahezu deckungsgleich: alle drei Parteien wollen die Schuldenbremse aufweichen und zusätzliche Milliardenschulden für öffentliche Investitionen aufnehmen. Im Land haben wir mit den Grünen nun eine andere Linie vereinbart. Anders als im Bund wird es auch keinen Zuwachs an Personalstellen im Landeshaushalt geben. Ihre Gesamtzahl darf in der neuen Legislaturperiode nicht erhöht werden.

Vieles verankert, einiges verhindert, manches nicht

Dass die im Vertrag enthaltene „Innovationsoffensive für klimaneutrale Produktion“ auf die Grünen zurückgeht, dürfte niemanden überraschen – sinnvoll ist dieses Vorhaben aber allemal. Auch die anderen als „Green Tech“ beschriebenen Vorhaben, mit denen Handwerk und Industrie Klimaschutztechnologien entwickeln, produzieren, verkaufen und installieren sollen, bieten Chancen für Kommunen und Wirtschaft. Es ist gut, dass die Wirtschaftspolitik im Land nun auch dieses Ziel ins Auge fasst.

Gut auch, dass der Koalitionsvertrag folgenschwere Einengungen der Wirtschaft unterläßt. Dies wäre beispielsweise (wie vorgeschlagen) ein festes Ausstiegsdatum für den Verbrennungsmotor gewesen oder ein Lieferkettengesetz, das zusätzlich mit ökologischen Standards aufgerüstet werden sollte.

Die meisten Handwerker, Mittelständler und Industriebetriebe werden dem Wirtschaftsteil des Koalitionsvertrags zustimmen können. Er ist eine gute Agenda für die Wirtschaftspolitik der nächsten 5 Jahre. Bei den Bürokratiekosten werden wir vorankommen und auch die Modernisierung der Verwaltung wird zu Zeit- und Kostenersparnissen bei Bürgern und in der Wirtschaft führen. Darüber hinaus benennt die schwarzgrüne Vereinbarung konkrete Aktionsfelder – deren Ausgestaltung offen ist und auch der MIT die Möglichkeit zur Mitgestaltung und Profilbildung gibt.

Tobias Vogt MdL, Mitglied im Koalitionsverhandlungsteam und Unternehmer