Wer Vollzeit arbeitet, sollte davon auch seinen Lebensunterhalt bestreiten können. Dieser Maxime wird niemand widersprechen. Weil die Realität in Deutschland vielerorts anders ist, insbesondere in Regionen mit hohen Mietpreisen, findet die Anhebung des Mindestlohns parteiübergreifend hohe Zustimmung. Ab Oktober muss von 9,82 Euro auf 12 Euro erhöht werden, dies bewirkt im Niedriglohnsegment einen kräftigen Sprung von brutto rund 1.700 Euro auf rund 2.100 Euro. Davon profitieren etwa 6 Millionen Beschäftigte, in erster Linie Frauen und viele Menschen in Ostdeutschland.
Die andere Seite dieser Medaille sind die vielen meist kleineren Betriebe, deren Lohnkosten massiv steigen. In der öffentlichen Debatte wird weitgehend übersehen, dass die Anhebung des Mindestlohns auch Auswirkungen auf die weiteren Stufen eines betrieblichen Gehaltsgefüges haben wird. Um die gewünschten Abstände zwischen Lohngruppen nicht zu verwässern, muss auch oberhalb des Mindestlohns etwas getan werden. Hinzu kommen die steigenden Energiekosten, die Verteuerung der Lebensmittel, die hohe Inflation insgesamt. Die Lohnkosten werden also erheblich steigen, die Preise springen weiter in die Höhe.
Dass es uns in Deutschland in den letzten Jahren so gut ging, hatte auch darin seinen Grund, dass sich die Preisspirale nur langsam drehte. Kaum Inflation, überschaubare Kostensteigerungen, planbare Kalkulationen. Das ist vorbei, auf nicht absehbare Zeit.
Ausnahmen wären sinnvoll gewesen
In dieser Debatte fehlen die Wirtschaftspolitiker, leider nicht zum ersten Mal und leider auch bei der Union. Wirtschaftspolitiker, die öffentlich darauf hinweisen, dass die 12 Euro in bestimmten Branchen extreme Probleme schaffen: Im Einzelhandel, in der Gastronomie, in den Hotels, bei den Friseuren und ganz besonders in der Landwirtschaft. Diese Branchen können nicht in Maschinen investieren und auf diese Weise Lohnkosten dämpfen. Diese Branchen sind und bleiben auf Personal angewiesen. Warum gibt es keinerlei Kompensation für diese Branchen? Bei den Friseuren führen deutliche Preiserhöhungen zu einem Schub in die Schwarzarbeit. Und es ist im Weinbau sehr fraglich, ob deutlich höhere Verkaufspreise angesichts der internationalen Konkurrenz so einfach von den Weintrinkern akzeptiert werden. Die Politik lässt diese Branchen allein mit den zusätzlichen Problemen.
Wenn höhere Preise im Markt nicht durchgesetzt werden können, sondern in den Supermärkten stattdessen mehr günstigeres Importobst und -gemüse verkauft wird, verlieren einheimische Bauern ihren Markt und ihre Existenz. Für diese Branche, in der jeder zweite fremdbeschäftigte Mitarbeiter eine Saisonarbeitskraft ist, hätte man ohne Weiteres pragmatische Ausnahmen machen können. Dadurch wären diese Arbeitskräfte sicher nicht weniger motiviert gewesen, in den Weinbergen und auf den Feldern bei der Ernte zu helfen.
So aber glänzen unsere Wirtschaftspolitiker durch Abwesenheit und wer sich fragt, warum die CDU in vielen Branchen an Unterstützung verliert, findet auch in dieser Debatte eine Erklärung.
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